Antisemitismus? Endlich zur Sache kommen!

Leserbrief zu dem Beitrag von Meron Mendel, „Komm mal wieder runter“, in der FR vom 13.08.2020

 

Micha Brumlik hat in der FR am 3. August vor einem neuen „McCarthyismus“ gewarnt. Inzwischen werde ziemlich systematisch gegen Aktivitäten von Menschen und Gruppen vorgegangen, die das israelische Besatzungsregime in Palästina und die israelische Politik kritisierten. Meron Mendel hat dies am 13.08.20 als dubioses Geraune abgetan und aufgefordert, „rhetorisch abzurüsten“.

Nun mag man über den Begriff streiten. Aber die Vorgänge, auf die er sich bezieht, sind durchaus reell. Mendel bleibt in dieser Hinsicht auffallend  schwammig, diffus, vom Faktischen ablenkend. Beispiel: Ruhrtriennale. Sie sollte durch den afrikanischen Gelehrten Achille Mbembe eröffnet werden. Die Veranstalter waren deswegen durch den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein heftig attackiert worden. Mbembe, der die Einzigartigkeit des Holocaust mitnichten bestreitet, hat sich erlaubt, Vergleiche und Verbindungen zu Kolonialismus und Apartheid zu ziehen. Antisemitismus? Absurd. Es geht wohl eher um Denkverbote. Mendel scheibt nun, die Veranstaltung sei doch wegen Corona abgesagt worden. Das ist formal richtig; aber den eigentlichen Vorgang verschleiert er.

Anderes Beispiel: Nach heftigem Druck sieht sich der Direktors des Jüdischen Museums in Berlin zu einem Rücktritt gezwungen. Regierungschef Netanjahu hatte an Kanzlerin Merkel geschrieben, gegen die Ausstellung des Museums „Welcome to Jerusalem“ 2018/19 protestiert und gefordert, die Unterstützung der Einrichtung einzustellen. Mendel schreibt nun, der Rücktritt sei auf eine „lange Geschichte öffentlicher Fehlgriffe“ zurückzuführen. War die Jerusalem-Ausstellung ein solcher Fehlgriff? War die Intervention Netanjahus nach Meinung von Mendel also richtig? Darüber hätte man gern mehr gewusst. Stein des Anstoßes war offensichtlich, dass in der Ausstellung überhaupt die palästinensische Sichtweise auf Geschichte und Gegenwart vorkam! Dies wird dann gerne mit dem Vorwurf bezeichnet, man bediene das „palästinensische Narrativ“. Mit anderen Worten:  Das Leid, die Unterdrückung und Entrechtung der Palästinenser möge doch tabu bleiben.

Dass Mendel nicht koscher argumentiert, wird an der Vielzahl der Fälle deutlich, in denen in der jüngeren Vergangenheit versucht wurde, missliebige Kritik an Israel und dem Besatzungsregime zu unterbinden bzw. zu stigmatisieren.  Es ist eine Tatsache, dass versucht wurde, die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zu torpedieren, dass ein Vortrag des Publizisten Andreas Zumach bei der Landeskirche Baden nach Falschbehauptungen, die später zurückgenommen werden mussten, abgesagt wurde, dass Veranstaltungen von Gruppen, die der Sympathie für die BDS-Bewegung verdächtigt werden, immer öfter große Schwierigkeiten haben, öffentliche Räume zu bekommen und für ihre Veranstaltungen zu werben. Die heftigen Bemühungen der Netanjahu-Regierung, die Aktivitäten von „pro-palästinensischen“ Gruppen in Israel und im Ausland rigoros zu unterbinden, sind in diesem Zusammenhang wohl kaum zu bestreiten.

Was an der Debatte auffällt, ist, dass die Verhältnisse vor Ort gar nicht mehr zur Sprache kommen. Die täglichen Schikanen, denen die Palästinenser*innen an den zahlreichen Checkpoints in den besetzten Gebieten ausgesetzt sind, die bürokratische Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, die willkürlichen Enteignungen und Zwangsräumungen, die brutale Abriegelung Gazas, die Kollektivstrafen usw. usf. . Mit der geplanten Annexion eines Drittels des Westjordanlandes würde deren Lage weiter eingeengt. Ein solcher Schritt zeigt überdies, worum es regierenden israelischen Rechten geht: Ein Teil der Palästinenser*innen darf in lokalen Siedlungen bleiben, aber ohne elementare demokratische Rechte, der andere Teil soll, weil den Menschen jegliche Zukunftsperspektiven vorenthalten werden, zum Gehen gezwungen werden. Das Engagement des Antisemitismus-Beauftragten Felix Klein oder  des Leiters der Bildungsstätte Anne Frank, Maron Mendel, gegen Antisemitismus und Rassismus wäre glaubwürdiger, wenn sie nicht nur abstrakt erwähnten, dass man israelische Politik durchaus kritisieren dürfe, sondern sie dies auch täten. Wo bleibt ihre Stimme gegen das völkerrechtswidrige Besatzungsregime? Wo bleibt ihre Stimme, wenn es um die elementare Menschenwürde und gleiche Rechte für die Palästinenser*innen geht?

Paul Schäfer, 10.08.2020